Chiara Messerli: «Ich fühlte mich geehrt»

15.08.2019 12:00

Chiara Messerli: «Ich fühlte mich geehrt»

Chiara Messerli spielte 2018 als zweitjüngste Schweizer Fussballerin die U19-EM-Endrunde in der Schweiz. Die Offensivspielerin des BSC Young Boys, die ins Footura-Projekt des SFV integriert ist, möchte eine bessere Saison im Club, eine neuerliche EM-Qualifikation der U19 und später den Schritt ins A-Nationalteam und ins Ausland anstreben.

«Es war die bisher schönste Zeit meines Lebens», sagt Chiara Messerli. Und sie blickt dafür etwas mehr als ein Jahr zurück. Das Schweizer U19-Nationalteam spielt die EM-Endrunde im eigenen Land und Messerli steht unverhofft mitten drin. Gemeinsam mit Kattalin Stahl war sie von Trainerin Nora Häuptle noch als U17-Spielerin für das EM-Kader der älteren Nachwuchsfussballerinnen nominiert worden. «Ich fühlte mich geehrt und genoss diese Zeit voller Emotionen, mit vielen Zuschauern und dem Gefühl, von allen beklatscht zu werden», erzählt Messerli.

Für sie war das Erlebnis umso spezieller, weil sie überhaupt nicht mit dieser Entwicklung gerechnet hatte. Wegen einer Adduktorenzerrung wollte sie nach vielen kleineren Verletzungen eigentlich einen Schlussstrich ziehen und den Rest der Saison zur Regeneration nutzen. Doch dann kam die Anfrage für ein Testspiel mit der U19-Auswahl, das Aufgebot für das Vorbereitungscamp und schliesslich die Nominierung für den Schweizer EM-Kader. Sie lernte viele neue Fussballerinnen kennen und war beeindruckt, wie selbstverständlich sie als jüngere Spielerin, die bis dahin nicht zu diesem Team gezählt hatte, von den anderen Akteurinnen aufgenommen wurde.

Beidfüssigkeit als Stärke

Dass sie diesen Weg gehen konnte, ist ihrem Talent zuzusprechen. Sie hat schon in jungen Jahren einen grossen Rucksack an fussballerischen Fähigkeiten eingesammelt. Begonnen hat alles mit ihrem Vater Karl Messerli. Dieser war begeisterter Fussballer und Nachwuchstrainer beim FC Schwarzenburg, im Ort, wo die Familie wohnt. Chiara begann schon mit vier Jahren, regelmässig im Verein zu trainieren, sie blieb dort bis zum elften Altersjahr. Ihrem Vater hat sie ihre Beidfüssigkeit zu verdanken, auf die dieser grossen Wert legte. «Obwohl ich mit rechts geboren wurde, halten mich heute noch einige für eine Linksfüsserin», sagt sie selbst.

Ihr Talent führte im Jahr 2012 zum Team Bern West. Dort spielte sie mit Lizenz beim FC Köniz ausschliesslich mit Jungs, bei den Junioren D Promotion, danach in den Footeco-Kategorien FE13 und FE14 und schliesslich bei der U15 im Nachwuchsspitzenfussball. Sie war jeweils das einzige Mädchen in diesen Talentteams, das allein unterstreicht eine ausserordentliche Begabung. Sie war jeweils ein Jahr älter als die Jungs, sie integrierte sich einwandfrei. Auf die wöchentlichen Trainings auf diesem Level wollte sie nicht verzichten, das war auch einer der Gründe, warum sie nicht ins SFV-Ausbildungszentrum nach Biel ging, sondern bis zum neunten Schuljahr eine Sportklasse in Köniz besucht. Der andere Grund für die Entscheidung ist ein familiärer: «Ich fühlte mich noch nicht bereit, mein Zuhause zu verlassen.»

Das verrückte Frühjahr 2018

Ab Oktober 2016 bestritt sie erste Einsätze für das U19-Frauenteam des BSC Young Boys. Der Übergang in den Frauenfussball wurde schrittweise vorbereitet. Im Sommer 2017 erfolgte der definitive Übertritt, erste Einsätze mit dem NLA-Team kamen dazu, die Vorrunde der Saison 2017/2018 brachte neben dem regelmässigen Training mit dem NLA-Team primär Einsätze mit dem U17-Frauenteam von YB-Wyler, das die Vorrunde jeweils in der Coca-Cola Junior League der Jungs mitwirkte. In der Rückrunde folgte der nächste Schritt. Am 10. Februar 2018 bestritt sie ihren ersten Teileinsatz in einem NLA-Meisterschaftsspiel mit YB. Es war ein besonderer Tag, erstmals seit sechs Jahren vermochte YB wieder einmal ein Spiel gegen die Frauen des FC Zürich zu gewinnen, Chiara Messerli wurde beim 2:2 in der 66. Minute eingewechselt.

«Die Stimmung war nach diesem Sieg entsprechend gut», kann sie sich an diesen «sehr speziellen Moment» erinnern. Dieses halbe Jahr war verrückt – neben nun vermehrten NLA-Spielen mit dem Club bestritt sie mit dem U17-Nationalteam der Schweiz im Frühjahr 2018 die Elite-Runde und wurde dann nur drei Monate später vorzeitig in die U19 befördert. «Das tolle Gefühl an der EM hätten wir gerne noch etwas länger genossen», weiss Chiara Messerli. Doch die starken Vorstellungen der Schweiz wurden nicht mit der Halbfinalqualifikation belohnt. Nach dem Auftaktsieg gegen Frankreich gingen die Partien gegen Spanien und Norwegen verloren. Messerli selbst hatte gegen Spanien neben dem von Malin Gut vergebenen Penalty noch eine grosse Chance. 2019 wird es nichts mit einer EM-Endrunde für die Schweizer U19-Frauen. Im Frühjahr gelang der angestrebte Gruppensieg in der Elite-Runde gegen Belgien, Polen und Finnland nicht.

Bälle in die Tiefe

Chiara Messerli ist eine Frau für die Offensive, dort aber enorm vielseitig einsetzbar, als hängende Spitze, am Flügel, ganz vorne. «Ich mag es, in den Abschluss vorzustossen und in die Tiefe zu laufen», sagt sie. Mit dem BSC Young Boys hat sie gerade eine durchzogene Saison hinter sich. «Wir hatten Schwierigkeiten im mentalen Bereich, es war schwierig, sich nach vielen Niederlagen immer wieder aufs Neue zu motivieren. Trotzdem sind wir als Team zusammengestanden und haben diese schwierige Phase durchlebt.» Ein persönlich positiver Aspekt war, dass sie erstmals seit langem und nach einer hartnäckigen Knieentzündung in der Vorrunde nun in der Frühlingsrunde ein halbes Jahr lang ohne jede Verletzungsprobleme durchspielen konnte.

YB beendete die Spielzeit auf dem zweitletzten Rang, in der Rückrunde wurden gerade noch zwei Spiele gewonnen, eines davon war der Halbfinal im Schweizer Cup. «Die Saison war schlecht, aber es war eine Erfahrung, aus der wir lernen können.» Das gilt schon auf die neue Spielzeit, die sich unter dem neuen Trainer Julien Marendaz gut anliess. «Er lässt sehr intensiv trainieren, ist streng, kommt menschlich im Team aber sehr gut an. Und ich persönlich finde es cool, dass er mit uns ausschliesslich Französisch spricht.»

Eine gute Saison mit YB, das ist eines der Ziele, die sich Chiara Messerli für die Saison 2019/2020 gesetzt hat. Mit der U19-Auswahl möchte sie noch einmal eine EM-Endrunde erleben, diese starken Gefühle wie im vergangenen Jahr in der Schweiz. Und dann natürlich am Ende ihrer Ausbildungszeit ein Thema werden für das Schweizer A-Nationalteam, wie viele junge Spielerinnen, die in diesem Jahr schon unter dem neuen Nationaltrainer Nils Nielsen ihre Premiere feiern durften. Das Ausland ist ein Langzeitziel, durchaus. Aber zunächst möchte sie ihr Sport-KV abschliessen, das sie bei der BKW Energie AG absolviert und das reduzierte Arbeitszeiten und einen wöchentlichen Schultag beinhaltet, um eine optimale Abstimmung mit der Sportlerinnenkarriere zu ermöglichen.

(Rotweiss/ds)